Bei dem nachfolgenden Konzept handelt es sich um einen vorläufigen Vorschlag zu einer Schulreform, die auf tagespolitische und sofort zu ändernde Zustände Stellung nimmt. Sie ist eine Minimalforderung, die möglichst sofort zumindest in dieser Richtung erfolgen soll.
An einer echten Bildungsreform, die mehr Freiheit und Mündigkeit für jeden einzelnen, Schüler, Lehrer und Schule fordert - sowie mehr auf die Ganzheitlichkeit von Herz-Hand-Kopf eingeht und neben dem reinen Wissen v.a. das wirklich Können betont, wird derzeit gearbeitet. Insbesondere die Projektmethode nach Dewey erscheint hier vorbildlich.
Die Schule steht im Spannungsfeld verschiedener Ansprüche, was sie für Bildung und Erziehung zu leisten habe. Das Dreigliedrige Schulsystem wurde in der Vergangenheit den Ansprüchen der Berufsfelder mit drei Schulabschlüssen weitgehend gerecht, verliert aber am unteren Rand immer mehr an Bedeutung. Die Schaffung einer bildungsfernen Schicht durch eine nicht mehr zeitgemäße Selektion widerspricht den pädagogischen und ethischen Ansprüchen an Schule und Bildung und damit auch dem Grundgesetz.
Das antiquierte Dreigliedrige Schulsystem entspricht bis heute weitgehend immer noch dem wilhelminischen Erbe, obwohl sich die gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen längst geändert haben. Mit dem anhaltenden begrüßenswerten Wandel vom Industrie- und Produktionsstandort zur Dienstleistungsgesellschaft gehen auch starke Änderungen der Tätigkeitsstrukturen einher, die neue Anforderungen an die Bildung stellen. Auch innerhalb des produzierenden (sekundären) Sektors und des (tertiären) Dienstleistungssektors findet durch den technologischen Fortschritt und die Globalisierung des Arbeitsmarktes eine starke Verschiebung der Anforderungen hin zu wissensintensiven Tätigkeiten statt. Die Mindestanforderungen für die klassischen Ausbildungsberufe haben sich längst soweit erhöht, dass zunehmend nur noch Absolventen mit Realschul- oder gar Gymnasialabschluss zum Zuge kommen. Selbst mit sehr guten Hauptschulabschlüssen stehen Jugendliche oft als Verlierer dar. Die Hauptschule stellt für Gesellschaft und Wirtschaft zu wenig Bildung bereit und hat damit keine Zukunft mehr: Sie muss abgeschafft werden, um gerechte Chancen zu schaffen. Selektion statt Förderung ist nicht mehr akzeptabel, weshalb eine moderne integrierte Gesamtschule geschaffen werden muss, die sowohl Gemeinschaft wie auch individuelle Förderung bereitstellt. Eine Umstellung von Dreigliedrigkeit auf integrierte Gesamtschule kann aber nur durch eine innere Reform der Schule gelingen.
Der teilweise schlechte Ruf der Gesamtschule, sie würde Gleichheit auf niedrigem Niveau herstellen und die Eliten zugunsten Lernschwacher benachteiligen, ist nicht unbegründet. Eine äußere Schulsystemreform – Abschaffung des Dreigliedrigen Schulsystems zugunsten einer integrierten Gesamtschule – kann nicht ohne eine innere Reform der Schule gelingen. Die Umstellung auf eine integrierte Unterrichtung mit Schülern sehr unterschiedlicher Begabungen, die bisher durch die Selektion vermieden wurde (Sitzenbleiben, Wechsel auf anderen Schultyp), muss methodisch und didaktisch völlig neue Formen des Unterrichts sowie der Schulorganisation schaffen, die sich am individuellen Lernfortschritt der Einzelnen orientiert.
Durch die Integration in der Gesamtschule vergrößert sich das Leistungsgefälle innerhalb einer Schulklasse. Die Klassenbildung nach Altersjahrgang muss daher ersetzt werden durch ein Kurssystem, das sich an der Leistung und Begabung des Einzelnen orientiert. Das Kurssystem verzichtet damit auf das Sitzenbleiben und unökonomische Wiederholen von ganzen Klassen. Wird ein Kurs unterbelegt, muss er mit gezielter Förderung wiederholt werden, während alle anderen Kurse fortgesetzt werden. Dadurch ist eine individuelle Durchlässigkeit beim Lerntempo garantiert. Schwächen in einzelnen Kursen werden gezielt aufgearbeitet. Zusätzlich sollen ältere Schüler als Mentoren für jüngere Schüler in Übungsgruppen Verantwortung bei der Lernhilfe übernehmen und gleichzeitig Sozialkompetenz entwickeln, die ebenfalls als eigenständige Leistung bonitiert wird (anstelle völlig inakzeptabler „Kopfnoten“). Besonders begabte Schüler können das Kurssystem schneller durchlaufen, andere werden gezielt gefördert. Die Inhalte der viertel- bis halbjährigen Kurse orientieren sich an Bildungsstandards, die heute weitgehend schon entwickelt sind. Die Bildungsstandards werden in neue Kursstandards integriert.
Das Lernpensum und die Leistungsanforderungen an der Schule und zuhause sind nicht zuletzt aufgrund politischer Schnellschüsse wegen schlechter Schultests für die Schüler stark gestiegen und nehmen immer mehr des Tages ein. Immer mehr Inhalte werden in kürzerer Zeit unterrichtet – die Einübung und Vertiefung bleibt dem Schüler eigenverantwortlich als Hausarbeit überlassen. Gute Schüler können diese Arbeit als Routine erledigen, weniger gute sind überfordert. Ihnen bleibt teure Nachhilfe oder Misserfolg in der Schule als Alternative – die Selektion greift und schafft misserfolgsorientierte Schüler.
Die Kosten für Bildung durch teure Nachhilfe werden zunehmend externalisiert – Bildung wird verschärft zur ohnehin bereits bestehenden sozioökonomischen Falle (vgl. OECD Studien). Auch die Verantwortung für die wirkliche Unterrichtung an der Schule wird auf die Schüler und Eltern abgeschoben – Unterrichtsstoff wird vorlesungsartig nur noch „durchgenommen“, lernen und verstehen müssen die Schüler zunehmend selbst – nicht zuletzt durch das mangelhaft eingeführte achtjährige Gymnasium (G8).
Durch Ganztagesschulen bietet sich eine gezielte Förderung in Übungsgruppen an bestimmten Nachmittagen an – auch durch ältere Schüler oder pensionierte Lehrer als Mentoren. Auch sinnvolle Freizeitaktivitäten, Ausflüge und AGs im Schulalltag integriert fördern das positive Lernen mit Herz, Hand und Kopf und sorgen für einen gesunden Ausgleich und ein positives Miteinander an und mit der Schule. Das Familienleben wird durch echte Freizeit gestärkt – die Verantwortung für das Lernen verbleibt an der Schule. Gleichzeitig wird der gesellschaftlichen Realität Rechnung getragen, dass zunehmend beide Elternteile voll berufstätig oder alleinerziehend ohnehin zur Arbeit gezwungen sind.
Kontakt: Frederik Schenk